Kommentar zur aktuellen Lage von Alexander Reinelt, Gründer und Geschäftsführer der SUSHIYA GmbH, vom 21. Oktober 2020.
Die Gastronomie hat viele Maßnahmen mitgetragen in den letzten Monaten – aus eigenem Interesse und aus öffentlichem Interesse, und natürlich weil so angeordnet. Jetzt ist aber ein Punkt erreicht, der nicht mehr nachvollziehbar ist
Das letzte Wochenende wurde wieder zu einem Schleudergang der Gefühle: Mitarbeiter und Medien wechseln sich alle paar Stunden mit der Meldung ab, dass es mal eine Sperrstunde – also Schließungsverfügung – ab 22h für Speiselokale geben würde, andermal wurde das als ein Ausschankstopp um 22h interpretiert. Am Montag dann am späten Nachmittag die Gewissheit: ja, die Gäste sollen um 22h nachhause geschickt werden.
Warum ist das so schlimm für die Gastronomie?
Die Einschränkung des Alkoholausschanks – verstanden! Je später der Abend, je geselliger die Runde, desto leichtsinniger möglicherweise der Umgang mit Regeln, Abstandsregeln, Hygieneregeln. Man kann so eine Einschränkung verstehen, auch wenn man sie nicht gut heisst. Keine Betriebserlaubnis für Bars & Clubs, weil dort laute Musik und Alkohol herrschen – es schmerzt, es tut weh, man vermisst es, aber es macht irgendwo Sinn, ist nachvollziehbar. Und es ist auch klar, dass in so einer Situation die Gegenmaßnahmen manchmal nicht 100%ig passen und es am Rand zu kleinen „Ungerechtigkeiten“ kommt, weil man nicht von heute auf morgen alle Verfügungen und Vorschriften für so eine Sondersituation perfekt ausbalancieren kann.
Die Gastronomie ist neben Künstlern und der Event-Branche bisher schon Leidtragender #1 unter den Corona-Einschränkungen, denn sie bringt im Normalzustand auch ganz wesentlich Menschen zusammen. Aber es gibt auch den Anteil an Lebensqualität, für den die Gastronomie steht und der mag heissen, dass zwei oder vier Leute zusammen am Tisch sitzen und ein leckeres Essen und vielleicht einen feinen Wein geniessen. Da ist noch bei weitem keine Rede von Kontrollverlust.
Bei uns im Restaurant sansaro beispielsweise ist die Tischbelegung völlig verändert, wir haben auch an guten Abenden rund 30% weniger Belegung als normal — an schwachen Abenden wirkt sich das noch dramatischer aus, weil die Tische sich nicht mehr so flexibel vergeben lassen (Abstandsregeln, Tischgrößen).
Die Gastronomie soll ein sicherer Ort sein und trägt die Maßnahmen zum Infektionsschutz gerne mit
Wir tragen als Restaurantmitarbeiter den gesamten Abend über Masken, wir lüften regelmäßig kräftig durch, wir investieren mehr in Reinigungsmittel, Heizkosten, Aufsteller, Desinfektionsmittel und -spender und so weiter. Und haben zugleich deutlich veränderte Ertragsmöglichkeiten. Und weniger Gäste, die kommen, aus Vorsicht oder aus Angst.
Wir tragen die bisherigen Maßnahmen gerne und aus eigener Überzeugung mit – sogar einen Stopp des Alkoholausschank ab 22h.
Aber warum wir die Gäste nun um 22h scharf nachhause schicken sollen, das erschliesst sich uns nicht! Die meiste Speisegastronomie wie wir hat um 22h letzte Küchenbestellung. Wir selber schließen um 23h scharf, denn wir wollen alle Arbeitszeitgesetze einhalten und unser Team will irgendwann nach einem langen Abend auch nachhause.
Aber wenn nun die Gäste um 22 Uhr rausgeworfen werden sollen, bringt das einige wellenartige Veränderungen mit sich. Denn der Gast muss vorher auch aufgegessen haben, dafür will er eine gewisse Zeit haben um das in Ruhe zu tun. Und vor dem Aufessen muss der Koch das Essen gemacht und der Kellner die Bestellung aufgenommen haben.
Zweite Belegung des Abends und damit Ertragsfähigkeit wird zerschnitten
In einer Speisegastronomie wie bei uns gibt es üblicherweise zwei Belegungen: einmal um 18.xx Uhr und einmal um 20.xx Uhr. Das ist umso wichtiger in einer Zeit, in der unsere Sitzplätze reduziert werden weil wir nicht mehr so viele Leute nebeneinander platzieren können. Wer wie wir seine Mitarbeiter korrekt versteuert und kein Schwarzgeld bezahlt, der ist auch zwingend auf zwei sehr gut ausgelastete Belegungen angewiesen, damit er seine Gehalter, Steuern, Krankenkassen, Berufsgenossenschaften und alles andere bezahlen kann.
Mit einer Sperrstunde um 22h ergibt sich nun ein extremes Druckszenario zunächst für die Köche: die müssen sehr schnell arbeiten, damit der Gast genug Zeit zum Essen hat – denn im FineDining Bereich wuppt man nicht nach 5 Minuten mal schnell lauter handgeformte Sushi oder die Creme de la Chef auf den Tisch.
So geht es weiter mit dem Service und am Ende dem Gast, der sich ausmalen kann, dass er bei Eintreffen um 20.30 Uhr noch 1 1/2 Stunden für den gesamten Besuch hat, also nach Bestellen und aufs Essen warten schon ans Gehen denken muss. Dieser Gast wird sich sicher keine schöne Flasche Wein oder japanischen Sake zum Essen bestellen, um das genussvoll und in Ruhe auszutrinken – selbst wenn es am Ende auf das gleiche zeitliche Szenario hinausläuft und wir am Ende keine betrunkenen Leichtsinnigen haben, haben wir schon in den ersten Tagen gemerkt, dass uns weit mehr als „ein Fünftel des Abendumsatzes fehlt“ wie Tim Mälzer es kürzlich im Fernsehen überschlagen hat. Der sprach dabei allerdings auch von der Zeitgrenze 23h statt 24h, wohingegen die Schrank von 23h auf 22h noch viel entscheidender für die vielen normalen, gesitteten Speiserestaurants ist.
Wie diese Regelung dem Infektionsschutz helfen soll, ist dabei vollkommen unergründlich. Es hat auch gar niemand versucht zu erklären.
Auf der anderen Seite stehen uns als Gastronomen aber Mitarbeiter von Krankenkassen und Finanzamt gegenüber, die oftmals nicht wie wir 14 Arbeitstage pro Woche arbeiten (sic!), sondern ganz selbstverständlich am Wochenende frei haben und am Freitag bereits teilweise ab 12h telefonisch nicht erreichbar sind.
Übernimmt der Staat Verantwortung für die verfügten Einschränkungen?
Die Ansprechpartner für Stundungen sind manchmal sehr nett und verständnisvoll, manchmal aber auch mürrisch-bossig und arrogant. Manche sind nur Halbtagskräfte und manche, wie die Dame der Krankenkasse kürzlich, täglich immer erst ab 10h im Büro (bis 16h, nicht bis 20h). Zu hören bekommen wir dann aber Sätze wie „Das ist Ihr Problem, Sie sind gesetzlich verpflichtet, dass die Zahlung pünktlich auf unserem Konto eingeht“ oder „Die Insolvenz ist ein probates Mittel, um Unternehmen aus dem Markt zu nehmen, in München findet in der Gastronomie eh jeder sofort wieder einen Job“. Für solche Sätze soll man extreme Arbeitsbelastung, jahrelange unternehmerisches Risiko auf sich nehmen und nun in der Corona-Krise neue Schulden machen, um ja alles brav abzubezahlen?
Wenn die Gastronomie jetzt so scharf eingeschränkt wird, dass die zweite, wichtigere Belegung des Abends ohne Sinn zerschnitten wird und viele Gäste das Angebot nicht mehr nutzen, dann muss der Staat auf der anderen Seite entgegenkommen oder sinnvolle Hilfspakete auflegen, die genauso gezielt wie die Einschränkungen, die die Gastronomie treffen, jetzt der Gastronomie helfen!
Einen Sinn für den Infektionsschutz können wir darin nicht erkennen, dass wir in einem Speiserestaurant, was ohnehin um 23h schliesst und aktuell nun auch ab 22h keine alkoholischen Getränke mehr abgeben darf, die Gäste um 22h rausgeworfen werden.
Im Gegenteil: die Erfahrung gerade im Bereich von Jugendlichen, illegalen Partys etc. zeigt ganz konkret, das ein gesittetes, kontrolliertes Ausgehverhalten in einer Gastronomie, die gezwungen ist die Auflagen zu erfüllen, aus Sicht des Infektionsschutzes viel besser sein kann, als wenn die Menschen sich nun privat zu unkontrollierten Feiern treffen.
Unsere Gäste sind vor 22h nicht betrunken und werden auch nach 22h nicht komplett achtlos.
Es bedeutet aber ein massives Zusammendrängen des vorherigen Geschehenes bzw. Verlust von Gästen und Gemütlichkeit.
Angemessen sollten Maßnahmen sein und — vor allem! — sinnvoll bei dem, was sie erreichen wollen, dann werden sie auch akzeptiert. Aber in diesem Fall ist ein Nutzen ist nicht darin zu erkennen, dass Gäste in einer Speisegastronomie, die ab 22h sowieso keinen Alkohol mehr ausschenken darf, ab 22h nicht mehr sitzen dürfen. Dadurch wird nichts gewonnen. Im Gegenteil, solche Maßnahmen führen dazu, dass Anordnungen und deren Sinn in Frage gestellt werden und auch rückblickend der Verdacht wächst, dass nicht immer alles wohlüberlegt und angemessen gewesen sein könnte. Und das ist besonders schade, denn auch wenn wir selber betroffen waren, hielten wir das Handeln der Regierung bisher immer für maßvoll, klug und geboten.
Sperrstunde um 21h entspricht halbem Umsätzen bei fast gleichen Kosten – die von uns geforderte Flexibilität und Ertragsverzicht muss auch der Staat genauso leisten
Sollte es nun auch eine Sperrstunde um 21h geben, wäre für uns ein kompletter Lockdown besser. Denn für einen Abend müssen unsere Köche so vielfältige Materialien stundenlang vorbereiten, dass die Kurzarbeit in Vorbereitungen den Umsatzverlust niemals auffangen kann. Für uns bedeutet das, dass wir finanziell wieder stranguliert werden, wenn nicht die gesamte Münchner Gesellschaft vom Restaurant-Besuch absieht und komplett wieder auf Lieferservice umstellt.
Es sind immer neue Herausforderungen, die so eine Krise an uns stellt und neben allem persönlichen und wirtschaftlich Schlimmen steckt immer auch Chance auf Erneuerung und gemeinschaftlichem Handeln in solchen Krisen. Wir sind dazu bereit und wir leisten das. Aber wenn solche dramatischen, infektionsschutzseitig fraglichen Maßnahmen wie ein schrittweise Lockdown und gastronomische Einschränkungen auf Raten getroffen werden, dann müssen auf der anderen Seite auch die staatlichen Stellen die entsprechende Flexibilität beweisen. Und Flexibilität heisst nicht „Nehmt einen Kredit auf und zahlt später“, denn wir können die Umsätze, die wir jetzt verlieren, niemals wieder reinholen, können von Gästen, die jetzt kommen, nicht einfach den doppelten Preis verlangen, weil es keine zweite Belegung mehr gibt. Finanzämter und Krankenkassen müssen an dieser Stelle bereit sein, zu verzichten, so wie wir es zum Allgemeinwohl auch tun müssen.
PS: Damit keine Missverständnisse entstehen: wir halten das Handeln der Regierung in Deutschland grundsätzlich für richtig und sinnvoll und erleben gerade in der CoronaKrise, wie wertvoll es ist, in Deutschland zu leben. Wir halten nur die Sperrstunde um 22h bzw. nun sogar 21h für wenig hilfreich und gleichzeitig wirtschaftlich tödlich für uns und andere Gastronomen. Einen harten Lockdown, wie er nun für November angekündigt wird, können wir als Restaurant sansaro sogar noch besser mittragen, da wir damit auch planen können und uns natürlich auf unseren Sushi-Lieferservice in München konzentrieren können. Wenn nun aber der harte Lockdown kommt, dann gilt umsomehr, dass der Staat auch für Lösungen sorgen muss. Lesen hierzu einen Kommentar in der Süddeutschen Zeitung.